Ein letzter Brief

An euch – von mir.
Heute ist Fronleichnam.
Aber ihr wisst das kaum noch. Und das ist … okay.

Ich war die Kirche.
Die große. Die alte. Die müde.
Die tröstende. Die verbeulte. Die oft auch verletzende.

Ich habe euch begleitet –
durch Jahrhunderte, durch Dunkelheit, durch Licht.
Ich habe Könige gekrönt, Kriege gesegnet, Frieden gepredigt.
Ich war Hoffnung. Ich war Irrtum. Ich war Zuflucht.
Ich war Zuhause – für manche.
Für andere war ich das Gegenteil davon.

Und nun?
Ich sterbe.

Nicht dramatisch.
Nicht an einem einzigen Tag.
Sondern in Würde.
Im Rhythmus der Zeit.
„Im ungehinderten Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens“,
wie ihr Verwaltungsleute es nennen würdet.
Still. Langsam. Unumkehrbar.

Ich habe nicht alles richtig gemacht.
Das wisst ihr. Und ich weiß es auch.

Ich habe euch nicht immer beschützt.
Manchmal habe ich geschwiegen, wo ich hätte schreien sollen.
Manchmal habe ich geurteilt, wo ich hätte umarmen müssen.
Und manchmal habe ich festgehalten,
wo Loslassen das eigentliche Zeichen von Liebe gewesen wäre.

Doch ich habe euch geliebt.
Bedingungslos.
Ohne Gegenleistung.
Trotz allem.

🕯️ Was bleibt mir noch zu sagen, bevor ich gehe?

Vielleicht dies:

Verlernt das Staunen nicht.
Ich war ein Ort dafür –
aber ihr könnt es überall finden, wenn ihr wollt.

Lasst Rituale weiteratmen.
Nicht meine. Eure.

Haltet euch gegenseitig aus.
Auch die Schrillen. Die Leisen. Die Gefallenen.

Sprecht. Und hört zu.
Worte können Wunden schlagen.
Aber auch Wunder wirken.

Liebt.
Euch selbst. Einander. Das Leben. Auch die Zweifel.

Ich gehe jetzt.
Nicht in den Himmel. Nicht in die Hölle.
Ich gehe ins Erinnern.

Und wenn ihr eines Tages durch ein leeres Kirchengebäude geht –
und die Stille euch nicht erschreckt, sondern umhüllt –
dann bin ich vielleicht doch noch da.
Als Echo.
Als Ahnung.
Als Liebe.

Danke,
dass ich euch begleiten durfte.
Auch wenn ihr es nicht immer gemerkt habt.

Ich war die Kirche.
Und ihr wart meine Menschheit.

Bleibt mutig. Bleibt zärtlich. Bleibt wach.

Ein Nachhall.

Wie oft merkt man erst, was man hatte,
wenn es gerade gegangen ist.

Vielleicht ist es noch nicht zu spät –
innezuhalten.
nachzudenken.
sich eine ganz einfache Frage zu stellen:

Warum habe ich heute eigentlich frei?
Und was ist Fronleichnam?

Und nein –
ich bin nicht katholisch.
Nicht mal ein bisschen.

Warum ich mich trotzdem damit beschäftige?

Vielleicht, weil ich mir diese Fragen jeden Tag stelle.

Jeden Tag begegne ich dem Relevanzverlust.
Ich werde nicht gefragt. Ich bin kein Pfarrer.
Ich bin nicht systemrelevant.

Und doch habe ich eine Meinung.

Und ich spiele gern mit der Perspektive.

Habt einen schönen Tag.

Ich spiele nur gern mit der Perspektive.
Habt einen schönen Tag.

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