Wenn nicht die Mitarbeitenden „schwierig“ sind
Ein nerdiger Erfahrungsbericht über schwierige Charaktere, falsche Gegenspieler – und die Chefetage als unerwartete Problemquelle
Einleitung: Das Märchen vom „schwierigen Mitarbeiter“
In fast jeder Führungsausbildung bekommt man sie serviert: die Typologie „schwieriger Mitarbeitender“. Da ist der Besserwisser, der alles kommentiert. Der Nein-Sager, der jedes Projekt blockiert. Die Mimose, die jede Rückmeldung als Angriff empfindet. Und ich? Ich hab sie alle kennengelernt. Aber wenn ich ganz ehrlich bin: Die wirklich herausfordernden Persönlichkeiten saßen seltener unter mir – sondern neben oder über mir.
Erkenntnis #1: Schwierige Menschen sind keine Monster, sondern Muster
Ich arbeite seit Jahren an der Schnittstelle von Kommunikation, Verwaltung und Veränderung. Und ich liebe Typologien. Bramson, DISG, Kilmann, Belbin – gib mir ein Schema und ich erkenne Muster.
Doch irgendwann wurde mir klar:
Verhalten ist immer Beziehung. Und manchmal ist mein eigenes Gegenüber nur schwierig, weil ich selbst der falsche Typ für die Situation bin.
Das gilt für die Mitarbeitenden – und noch mehr für meine Vorgesetzten. Drei Typen sind mir bis heute besonders im Gedächtnis geblieben.
1. Der Narzisstische Visionär – groß denken, klein führen
Er war charismatisch, rhetorisch brillant, voller Ideen. Seine Mails klangen wie TED-Talks, seine Präsentationen wie Messias-Botschaften. Wir sollten alles neu denken: Führung, Verwaltung, Digitalisierung. Ich war begeistert – bis ich irgendwann merkte: Er kann mit anderen Meinungen nicht umgehen. Wer widersprach, wurde ignoriert oder diskret aussortiert.
Was habe ich gemacht?
Ich habe versucht, ihn zu spiegeln. Begeisterung, Tempo, Vision – bis ich mich dabei selbst verloren habe. Dann wurde ich vorsichtig kritisch. Und flog aus der Gunstkurve.
Was hätte geholfen?
Ein klares „Ich teile deine Vision – und ergänze sie mit meinem Blick auf die Risiken.“ Aber das braucht Mut. Und Rückendeckung. Beides hatte ich damals nicht.
Merksatz:
Narzisstische Chefs suchen Echo – keine Reibung. Führung auf Augenhöhe ist mit ihnen selten möglich.
2. Der Unsichere Entscheider – das Phantom mit Protokollpflicht
Er war freundlich, korrekt, überpünktlich. Aber: Entscheidungen traf er nie. Lieber gründete er Arbeitskreise, in denen niemand Verantwortung übernahm. Ich entwickelte Präsentationen, Konzepte, Vorlagen – aber es passierte … nichts.
Was habe ich gemacht?
Ich wurde lauter. Drängender. Ich schrieb Mails mit „DRINGEND“ in der Betreffzeile. Ich inszenierte Klarheit. Und machte damit alles schlimmer.
Was hätte geholfen?
Verstehen, dass seine Unsicherheit kein persönliches Desinteresse war, sondern ein Schutzmechanismus. Ich hätte ihn mit kleinen, abgesicherten Entscheidungen gewinnen können. Nicht überfordern – sondern systematisch befähigen.
Merksatz:
Unsichere Chefs fürchten Entscheidungen – aber noch mehr fürchten sie Kontrollverlust. Wer Sicherheit schenkt, bekommt Bewegung.
3. Der Aggressive Durchsetzer – der mit dem Türenknall
Er war laut. Direkt. Gefährlich gut in Diskussionen. Sobald ich etwas nicht auf seiner Linie lag, wurde ich unterbrochen: „Das ist Quatsch, so machen wir das nicht!“ In Meetings lag eine Schwere, in Fluren ein Nachhall von Druck.
Was habe ich gemacht?
Ich habe versucht, sachlich zu bleiben. Fakten, Daten, Argumente. Und wurde damit immer kleiner.
Was hätte geholfen?
Grenzen setzen. Ruhig, klar, ohne Angst. Nicht auf der Sachebene kämpfen, sondern den Raum schützen: „Ich möchte das Gespräch beenden, wenn wir in diesem Ton weitermachen.“ Das habe ich mich erst Jahre später getraut.
Merksatz:
Aggression braucht keine Argumente, sondern Haltung. Laut ist nicht gleich stark – und leise nicht gleich schwach.
Was ich gelernt habe: Schwierigkeit ist immer Wechselwirkung
Heute sehe ich Typologien nicht mehr als Etiketten, sondern als Beziehungsmuster. Der aggressive Mitarbeitende wird schlimmer, wenn Führung ausweicht. Die jammernde Kollegin wird passiv, wenn Leitung nur auf Effizienz schaut. Und die Führungskraft selbst? Ist manchmal der größte Risikofaktor im System.
Ein Tool, das mir heute hilft
Ich habe gelernt, mit meinen „Monstern“ zu leben und habe sie gesammelt und sie zu ihren Mitarbeitenden-Gegenstücken (vgl. Bramson) in ihre „Zelle“ gepackt. Und siehe da: Dieselben (oberflächlichen) Tools, funktionieren auch am anderen Ende des Organigrams!
Ich geb‘s zu, es ist ein wenig nerdig, aber (manchmal ist der eigene Humor das letzte, was bleibt) ich habe diese Methode, die PokéMan-Methode genannt. Ihr findet sie im Material-Bereich dieser Seite.
Kurz gesagt:
Die schwierigsten Menschen in meinem Berufsleben waren nicht laut, dumm oder bösartig. Sie waren klug, strategisch – und hatten genau die Schwächen, die mich triggerten. Das eigentliche Problem war oft nicht ihr Verhalten – sondern meine falsche Reaktion darauf.